Die entscheidende Wechselwirkung für die Sinnstiftung Deiner Organisation.

Erster Teil der Artikelreihe zur Interdependenz des Purpose und der Resilienz.

Resilienz und Purpose sind mittlerweile feststehende und häufig verwendete Begriffe im organisationalen Kontext und im Rahmen von Organisationsanalyse und -designs kaum mehr wegzudenken.

Bei der Coaching Change kennen wir die wichtige Interdependenz zwischen beiden Begriffen und verankern diese in unseren Lösungen. Diese dreiteilige Artikelreihe soll den Zusammenhang aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchten und Dir die Auseinandersetzung mit Sinnstiftung im Arbeitsumfeld transparent vor Augen führen.

Grundlagen zu Resilienz

Die Begriffe Resilienz und Vulnerabilität werden seit den 1990er-Jahren vermehrt außerhalb ihres ursprünglichen Gebrauchs – der Beschreibung und Analyse von natürlichen Ökosystemen – genutzt1. Aus systemischer Sicht ist Resilienz die Fähigkeit zur erfolgreichen Anpassung an Veränderungen oder Störungen, die Funktion, Überleben oder Entwicklung des Systems bedrohen2. Auf dieser Grundlage lässt sich Resilienz auch auf individueller Ebene herleiten, wenn die für eine Anpassung notwendigen Ressourcen festzustellen sind2. Die Fähigkeit zur Resilienz lässt sich dennoch nicht als isolierte Eigenschaft betrachten; die Idee von Resilienz als Supermerkmal (supertrait) wurde mittlerweile verworfen. Stattdessen sind es eine Vielzahl an persönlichen Eigenschaften, die Resilienz begünstigen2.

Resilienzforschung beschäftigt sich in der Regel mit potenziell traumatisierten Zielgruppen wie Kriegsüberlebenden, Einwanderergruppen, Adoptivkindern, Katastrophenopfern, Soldaten oder Flüchtlingen3. Darüber hinaus sind für Kinder mittlerweile dedizierte Programme auf internationaler Ebene im Einsatz, die bei der Traumabewältigung infolge von Krieg, Katastrophen oder Flucht unterstützen sollen2. Mittlerweile werden Resilienztrainings auch zur Stärkung der psychischen Widerstandsfähigkeit von Bundeswehrsoldaten eingesetzt4. Bereits in den 1970er-Jahren wurden von Emmy Werner und Ruth Smith erste Ergebnisse einer Langzeitstudie vorgelegt, die bekannte Kauai Longitudinal Study5, die den Resilienzbegriff maßgeblich prägten. Auf der Insel Kauai wurden 698 Kinder – 200 davon aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status – ab ihrer Geburt im Jahr 1955 begleitet. Ein Drittel der Kinder aus den vulnerablen Familien entwickelte sich trotz ungünstiger Startbedingungen zu gesunden und leistungsfähigen Erwachsenen6. Diese Kinder wiesen eine Reihe gemeinsamer Eigenschaften auf, auf die nachstehend eingegangen wird.

Organisationale und digitale Resilienz

Als Bezeichnung für die Widerstandsfähigkeit von Organisationen ist Resilienz erst seit den 1990er-Jahren in Verwendung, allerdings mit einem starken Fokus auf Unternehmen7. Maßgeblich geprägt wurde die Diskussion von Hollnagel und seinem Konzept des Resilience Engineering8. Folgende vier Faktoren sind demnach entscheidend für die Resilienz einer Organisation9:

  • Reaktionsfähigkeit (ability to respond): beschreibt die Fähigkeit, auf regelmäßige oder unregelmäßige Veränderungen, Störungen oder Chancen mit vorbereiteten Handlungsabläufen oder durch Funktionsanpassungen zu reagieren.
  • Beobachtungsfähigkeit (ability to monitor): beschreibt die Fähigkeit, Faktoren zu suchen oder zu überwachen, die die Leistungsfähigkeit des Systems positiv oder negativ beeinflussen können. Beobachtet wird die Leistung des Systems ebenso wie seine Umgebung.
  • Lernfähigkeit (ability to learn): beschreibt die Fähigkeit, Ereignisse zu verstehen und die richtigen Erkenntnisse aus vorangegangenen Erfahrungen abzuleiten.
  • Antizipationsfähigkeit (ability to anticipate): beschreibt die Fähigkeit, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren, darunter neue Anforderungen, Rahmenbedingungen oder Chancen.

Diese vier Faktoren sind interdependent zu betrachten und beeinflussen in ihrer Wechselwirkung die Leistung einer Organisation7. Mit dem daraus entwickelten Resilience Analysis Grid (RAG) soll eine Bestandsaufnahme der Organisation ermöglicht werden: „provide a well-defined characterisation (or profile) of a system that can be used to manage the system and specifically to develop its potential for resilient performance”10. Die systemische Umsetzungsqualität der beschriebenen Faktoren hängt jedoch von den Menschen innerhalb einer Organisation ab. Insoweit spielt deren persönliche Widerstandsfähigkeit eine maßgebliche Rolle in der Gestaltung einer organisationalen Resilienz.

Digitale Resilienz als Teil der organisationalen Resilienz wird über folgende Handlungsfelder und die damit verbundenen Kompetenzen hergestellt11:

  • Konnektivitäts-Management (Erfahrung mit der Dauervernetzung),
  • Konvergenz-Management (Kompetenz in der Nutzung von Daten),
  • Privacy-Management (Erfahrung im Umgang mit Datenschutz),
  • Content-Souveränität (Fähigkeit zur Einschätzung von Informationsqualität).
Psychologische Resilienz

Die Grundlagen für psychologische Resilienz werden bereits in der Kindheit gelegt, können aber auch im Erwachsenenleben noch entwickelt werden. In der Langzeitstudie von Kauai6, sowie in weiteren Studien konnten eine Reihe von Eigenschaften festgestellt werden, die resiliente Kinder während ihrer Entwicklung zeigen12:

  • Positive Bindung an Sorgepersonen,
  • Positive Beziehungen mit fürsorglichen und kompetenten Erwachsenen,
  • Gute kognitive Fähigkeiten,
  • Fähigkeit zur Selbstregulation,
  • Positives Selbstbild, Selbstwirksamkeit,
  • Selbstvertrauen, Hoffnung und Fähigkeit zur Sinngebung im Leben,
  • Freundschaften oder Liebesbeziehungen mit unterstützenden und hilfsbereiten Personen.

Hinzu kommen externe Faktoren wie das soziokulturelle Milieu, durch das weitere Unterstützungsmechanismen in Form von sozialen Organisationen, einem hilfsbereiten und beziehungsorientierten kulturellen Umfeld mit positiven Standards und Ritualen und andere stabile soziale Gemeinschaften bereitgestellt werden12. In der Entwicklung psychologischer Resilienz werden im deutschsprachigen Raum häufig die sieben Säulen der Resilienz13 genannt, die teilweise bereits im Jahr 2004 veröffentlicht wurden und sich weitestgehend mit den sieben Resilienzfaktoren von Reivich und Shatte14 überschneiden. Die sieben Säulen der Resilienz bestehen aus13:

  • Optimismus (Überzeugung, dass der gegenwärtige Zustand nicht andauert),
  • Akzeptanz (Anerkennung des gegenwärtigen Zustandes),
  • Lösungsorientierung (Entwicklung von Lösungen für den gegenwärtigen Zustand),
  • Opferrolle verlassen (Erkennen der eigenen Handlungsfähigkeit),
  • Verantwortung übernehmen (Akzeptanz der Verantwortung für das eigene Handeln),
  • Netzwerkorientierung (Nutzung eines stabilen sozialen Umfeldes),
  • Zukunftsplanung (Vorbereitung auf künftige Entwicklungen unter realistischer Einschätzung der eigenen Kompetenzen).

Auf Reivich und Shatte wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen, da in Deutschland vor allem die sieben Säulen der Resilienz im betrieblichen Umfeld, das heißt, im betrieblichen Gesundheitsmanagement bekannt sind und angewendet werden15.

Bei der Stärkung psychologischer Resilienz leistet die empfundene Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns einen entscheidenden Beitrag. Es geht in dieser Artikelreihe primär um Sinnstiftung im Arbeitsumfeld, also um einen zweckorientierten Sinn, der im Organisationskontext häufig mit dem englischsprachigen Begriff Purpose bezeichnet wird. Das Empfinden von Purpose im Arbeitsumfeld ist eng verbunden mit dem Empfinden einer grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens. In den folgenden Teilen der Artikelreihe werden die theoretischen Grundlagen sowie die Funktion von Purpose als wichtige Voraussetzung für Resilienz erörtert.

 


 

 

  1. Christmann, G. B., Ibert, O., Kilper, H. & Moss, T. (2011). Vulnerabilität und Resilienz in sozio-räum-licher Perspektive: Begriffliche Klärungen und theoretischer Rahmen (Working Paper No. 44). Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung.
  2. Masten, A. S. & Powell, J. L. (2003). A Resilience Framework for Research, Policy, and Practice. In Resilience and Vulnerability (S. 1–26). Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/cbo9780511615788.003
  3. Weiß, M., Hartmann, S. & Högl, M. (2018). Resilienz als Trendkonzept. In M. Karidi, M. Schneider & R. Gutwald (Hrsg.), Resilienz (S. 13–32). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_2
  4. Böhme, J., Ungerer, J., Klein, R., Jacobsen, T., Zimmermann, P. & Kowalski, J. T. (2011). PSYCHI-SCHE RESSOURCENSTÄRKUNG BEI VN-BEOBACHTERN ZUR PRÄVENTION EIN-SATZBEDINGTER PSYCHISCHER STÖRUNGEN - EINE PILOTSTUDIE. Wehrmedizini-sche Monatsschrift, 55(10), 231–234.
  5. Werner, E. E. & Smith, R. S. (1979). A Report from the Kauai Longitudinal Study. Journal of the American Academy of Child Psychiatry, 18(2), 292–306. doi.org/10.1016/S0002-7138(09)61044-X
  6. Werner, E. E. (1993). Risk, resilience, and recovery: Perspectives from the Kauai Longitudinal Study. Development and Psychopathology, 5(4), 503–515. https://doi.org/10.1017/S095457940000612X
  7. Hoffmann, G. P. (2017). Organisationale Resilienz: Kernressource moderner Organisationen. Sprin-ger. http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-epflicht-1589998
  8. Hollnagel, E., Woods, D. D. & Leveson, N. (2006). Resilience Engineering: Concepts and Precepts. Ashgate Publishing.
  9. Hollnagel, E. (2013). RAG – The resilience analysis grid. In E. Hollnagel, J. Pariès, D. D. Woods & J. Wreathall (Hrsg.), Resilience Engineering in Practice: A Guidebook. Ashgate.
  10. Hollnagel, E. (2015). RAG – Resilience Analysis Grid: Introduction to the Resilience Analysis Grid (RAG), S. 1–16. https://erikhollnagel.com/onewebmedia/RAG%20Outline%20V2.pdf
  11. Steinmaurer, T. (2019). Digitale Resilienz im Zeitalter der Datafication. In M. Litschka & L. Krainer (Hrsg.), Ethik in mediatisierten Welten. Der Mensch im digitalen Zeitalter (S. 31–47). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_3
  12. Masten, A. S. (2010). Ordinary Magic. Lessons from Research on Resilience in Human Develop-ment. Education Canada, 49(3), 28–32.
  13. Rampe, M. (2010). Der R-Faktor: Das Geheimnis unserer inneren Stärke. Books on Demand.
  14. Reivich, K. & Shatte, A. (2003). The Resilience Factor: 7 Keys to Finding Your Inner Strength and Overcoming Life's Hurdles. Potter/Ten Speed/Harmony/Rodale. https://ebookcen-tral.proquest.com/lib/gbv/detail.action?docID=6104780
  15. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). (2015). Ressourcenförderung in Zeiten ständigen Wandels: Resilienz für Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmen (3. Aufl.). Bertelsmann Stiftung.

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